Melancholie ist grausam

Maximilian Hecker folgt seinem Unterbewusstsein und will sich nicht in eine Schublade stecken lassen



Du hast großen Erfolg im Ausland beispielsweise in Israel. Wie erklärst du dir diesen Erfolg als deutscher Musiker?

Wenn ich die Frage als Steilpass sehen würde, würde ich sagen: Ja, weil ich halt so gut bin. Aber das ist natürlich Quatsch. Ein bisschen Glück ist wahrscheinlich dabei. Die Plattenfirma hat es gleich im Ausland probiert und nicht erst darauf gewartet, ob es denn in Deutschland funktioniert, um dann bei Erfolg nachzulegen.

Du singst auf Englisch, warum nicht in deiner Muttersprache Deutsch?

Weil ich meine Idole imitiere und die haben alle englisch gesungen. Ich ahme nicht nach, aber man zitiert ja unbewusst von sämtlichen Musikern, die man gehört hat. Hätte ich beispielsweise nur Udo Lindenberg gehört, würde ich jetzt deutsch singen.

Wer sind deine Vorbilder konkret?

Vorbilder für meine Musik, das ist was anderes als das, welche Musik ich gehört habe. Glaube ich.

Welche Musik hast du in deiner Jugendzeit gehört?

Ganz viel Beatles, auch die Platten meiner Eltern: Simon & Garfunkel, Lennard Cohen, Cat Stevens. Mitte der Neunziger habe ich auch angefangen, zeitgenössische Musik zu hören, englische Bands, die üblichen Verdächtigen wie Radiohead und so. Vor ein paar Jahren habe ich Bob Dylan entdeckt.

Und wer hat dich am meisten inspiriert?

Das kann ich nicht sagen. Alle haben eine Bedeutung. Die Inspiration zum Liederschreiben kommt auch nicht durch die anderen Musiker.

Hast du denn musiktheoretische Vorkenntnisse?

Ich habe jahrelang Klavier- und Schlagzeug-Unterricht gehabt. Wenn man Unterhaltungsmusik macht, was ich ja tue, dann ist es nicht notwendig, Musik studiert zu haben. Insofern zehre ich nicht von einem Studium, aber gewisse Kenntnisse braucht man natürlich. Wobei der Schlagzeug- und Klavierunterricht weniger dem Songschreiben hilft als der Erfahrung am Instrument, der Spielpraxis.

Macht dich diese nicht vorhandene Songschreiberausbildung zu einem besseren Musiker?

Eine Songschreiberausbildung gibt es ja, glaube ich, grausamerweise. Das ist so als ob man sagt, ich trage mein Leben lang eine Gore-Tex-Jacke, aber bewege mich in der Welt, so als ob es eine Lederjacke wäre. Das funktioniert natürlich nicht. Das ist paradox. Wenn man Songschreiben in einem authentischen Sinne betrachtet, dann darf es natürlich nicht rational sein. Jede Art von Ausbildung wäre dann natürlich dem entgegen gesetzt.

Natürlich kann man sagen, man lernt wie man Songs schreibt, um dann so wie Hit-Produzenten zu arbeiten. Das ist was anderes. Wie bei Dieter Bohlen beispielsweise. Ich weiß nicht, wie viel Seele der dann in seine Lieder legt oder ob er behaupten würde, jedes seiner Lieder sei mit Herzblut geschrieben worden. Ich weiß es nicht.

Kannst du von deiner Musik behaupten, dass alles mit Herzblut geschrieben wurde?

Also das wäre zu dramatisch. Aber die Lieder sind nicht mit dem Ziel geschrieben worden, damit Geld zu verdienen.

Deine Musik ist sehr intim. Gab es schon einmal ein Lied, das dir zu privat war, um es zu veröffentlichen?

Meine Texte sind meistens sehr abstrakt, insofern gibt es diese Gefahr nicht. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass es etwas gibt, das zu privat wäre. Das einzige Problem wäre: Was denken die Verwandten oder die Leute, dir für einen arbeiten. Aber mir ist egal, ob ich irgendwelche Intimitäten preisgebe. Der Witz ist ja: Je ehrlicher man ist, desto weniger glauben die Leute einem. Neulich wurde ich gefragt: Was sind deine Hobbies? Ich habe gesagt: Ich jogge gerne, schau Sex and the City und James Bond und Hugh Grant-Filme und esse gerne Schokoladeneis. Da kam dann gleich: Verarsch mich nicht. Es ist schon ein guter Trick, die Wahrheit zu sagen, wenn man wenig preisgeben will. Weil die Leute einem das so und so nicht glauben.

Haben die Leute nicht schon genug von den vielen Songwritern, die momentan hip sind?

Ja, nein, weiß ich nicht. Keine Ahnung. Na und? Pech gehabt oder? (lacht) Wo wäre das Problem, wenn es viele gibt, kann man sich halt einen aussuchen auf den man steht.

Hast du manchmal auch das Bedürfnis fröhliche, laute und schrille Musik zu machen?

Ja, mache ich auch. Ich mache Elektro- und Techno-Songs, das ist aber noch nicht veröffentlicht. Dafür habe ich ein Pseudonym. Die Songs sind zwar nicht fröhlich, aber auf den ersten Blick und vom Stil her tanzbar. Wie das Projekt heißt sage ich nicht, weil die Texte zum Teil schon sehr hart sind.

Deine Songs sind ja eher ruhig und melancholisch. In welcher Stimmung bist du, wenn du deine Songs schreibst?

Melancholisch? (lacht laut und schrill auf) Ne, war nur Spaß. Also so empfinde ich das nicht. Die Songs sind Ausdruck meines Unterbewusstseins. In diesem Unterbewusstsein herrscht keine Traurigkeit und auch keine Melancholie. Melancholie finde ich ganz grausam. Das ist so: Ich bin gelangweilt vom Leben, weiß nichts mit mir anzufangen und glorifiziere das, indem ich es Melancholie nenne. Daher habe ich nichts damit zu tun.

Was ich ausdrücke, ist einerseits ein Gefühl der Freiheit und ein Gefühl der Existenzangst. Beides existiert nebeneinander im Unterbewusstsein, deshalb sind meine Lieder der Ausdruck von Glückseligkeit und gleichzeitig von Existenzängsten. Das ergibt eine Einheit. Wenn man das mit Worten erklärt, vielleicht nicht, aber in der Musik ist es dann eines. Wenn ich singe „I’m dying“ und die Musik in dem Moment sehr bombastisch, mela… harmonisch oder schön ist, dann kann man diese Einheit der Gegensätze fühlen. Aber man kann sie nicht rational erklären.

Das breite Publikum findet deine Musik schon eher melancholisch.

Ja, na und, was soll ich machen? Ich verstehe auch immer nicht, warum da ständig drauf rumgeritten wird. Jeder zweite Musiker, Leonard Cohen, Kurt Cobain und die ganzen Typen sagen nicht: Leute ich bin gut drauf, ich geh tanzen. Sondern es geht immer um den Ausdruck von etwas Intensivem. Jedem ist doch zugänglich, warum „Vom Winde verweht“ ein erfolgreicher Film ist, der wird auch gerne angesehen, und da fragt doch auch keiner: Scarlett O’Hara, warum bist du immer so traurig? Man muss es intuitiv verstehen, wie man es nennt, ist dann völlig egal. Niemand wird sich diesem Film ansehen, um ein Gefühl der Trauer in sich aufkommen zu lassen, sondern ein positives Gefühl. Ein intensives Gefühl, ein Gefühl der Empathie, ein dramatisches besonderes Gefühl. Da stehen die Leute ja drauf. Nicht so wie: Ich sitze im Büro und es passiert nichts, zwischendurch surf ich mal im Internet – das schockt ja nicht. Man will, dass etwas passiert, auch wenn nur es auf der Leinwand ist: Zwei Leute lieben sich und werden dann getrennt. Da passiert mal was. Und diese intensiven Gefühle sehnt man herbei.

Hörst du deine eigene Musik auch privat?

Ich höre manche Lieder manchmal, in bestimmten Situationen. Das ist eine Kommunikation mit mir selber. Wenn ich frei für Emotionen bin, was so ungefähr ein bis zweimal im Monat vorkommt, dann hör ich auch mal meine Musik.

Was unterscheidet dein neues Album von den Vorgängern?

Ja, ich hoffe nichts. Denn es ist ja immer der gleiche Typ mit den gleichen Gefühlen, der die Musik macht und im Grunde dürfte sich da nicht groß was verändern.

Was ist mit der musikalischen Weiterentwicklung?

Das können andere beurteilen. Wenn man das ganze objektiv betrachtet, kann man vielleicht eine Entwicklung ausmachen, aber das ist ja euer Job. Ich meine, was soll ich da über Entwicklung reden. Ich muss ja nur sagen: Ich weiß nicht, wie mir geschieht. Ich bin ein Genie. Das müsste ich laut Klischee jetzt sagen, und Journalisten könnten eine objektive Beurteilung machen. Ich singe jetzt mehr mit der Bruststimme und sowas, aber ob man das jetzt als Entwicklung bezeichnet, ist fraglich. Es sind ja auch schon ein paar Jahre vergangen seitdem, man wird erwachsener und etwas ruhiger. Diese Grunge-Ausbrüche vom Beginn sind nicht mehr da. Man kann sich natürlich Details ansehen, in der Produktion und so, aber sonst Entwicklung? Von der Intention gibt’s keine.

Du warst ja früher Straßenmusikant.

Eigentlich nicht. Ich habe als Hobby auf der Straße gespielt. Mache ich aber immer noch.

Wenn du andere Straßenmusikanten siehst, bleibst du stehen und hörst ihnen zu?

Nein, ich gehe auch nicht auf Konzerte. Denn ich stehe nicht gerne, und ich hatte auch nie einen Lustgewinn davon. Ich hab‘ immer gedacht: Na wann kommt denn jetzt das letzte Lied? Egal bei welchem Konzert, selbst bei Bob Dylan neulich. Tja, jeder hat so seine Vorlieben, was er gern macht.

Spielst du denn selbst gerne Konzerte?

(überlegt lange) Auf der Straße sehr gerne. Auf der Bühne jedes zehnte Mal. Man darf ja auch nicht vergessen, dass es viel mit Handwerk zu tun hat und mit Leistung und mit Wachsein. Dass es einfach nicht leicht ist, was man da machen muss. Und dass man eben nicht oft in der richtigen Stimmung ist, dann aber trotz der falschen Stimmung so tun muss, als ob man da jetzt irgendwie in seinen Liedern schwelgt.

Funktioniert das denn?

Doch, das funktioniert. (lacht) Das sind jetzt zwar so Sachen, die dürfte man nicht sagen, aber ich fühle mich auch besser in Interviews, wenn ich nicht lüge. Ernsthafte Fans fühlen sich da verarscht, wenn die denken, sie gehen zum Konzert und der tut nur so. Darum geht’s ja grade bei mir nicht, es soll authentisch sein. Nur man kann halt nicht jeden Tag authentisch sein. Oder man kann nicht jeden Tag die Musik authentisch singen. Vielleicht jeden vierten Tag.

In einem anderen Interview hast du gesagt, dass die Musik immer deine einzige Freundin war, würdest du das heute auch noch so unterschreiben?

Jaja, es ersetzt die Notwendigkeit, eine Freundin zu suchen. Auf jeden Fall. Da ist so eine Lücke gefüllt, die bei anderen durch eine Beziehung gefüllt wird. Das ist natürlich auch das Problem: Ich werde nie eine Freundin finden, weil ich auch gar keine will. Das klingt ein bisschen paradox. Aber ich krieg es einfach nicht hin, weil ich auch keine will. Ein bis zwei Mal im Monat denk ich dann, ich hätte ganz gern eine Beziehung und merke dann, dass ich vereinsamt bin. Und dass es ja auch nicht besser wird, und dass ich wahrscheinlich daran zu Grunde gehe oder sowas. Oder irgendwann kann man mich dann abhängen oder so (lächelt). Aber ich weiß nicht, wie ich es machen soll. Ich habe keinen Zugang zu den Mitteln, die man da anwendet, um eine Freundin zu bekommen.

Du bist jung und erfolgreich. Da dürfte das doch kein Problem sein.

Ja und dadurch bin ich auf einmal beziehungsfähig. Es geht ja nicht darum, ob man vielleicht könnte, sondern darum, ob man emotional dazu in der Lage ist, das zu wollen und dann auch auszuführen. Das hat nichts damit zu tun, ob ich gut aussehe oder jung bin. Frag mal Robbie Williams, die arme Sau.

Warum bist du nicht in der Lage eine Beziehung zu führen?

Tja, das wäre dann wirklich zu intim, das sag‘ ich dann lieber auf der Bühne, wenn alle zuhören. Ich versuch auch schon jahrelang das herauszufinden. In dem Moment, in dem ich denke, jetzt hab ich eine Freundin, fühl‘ ich mich sofort schuldig, weil ich denke, ich müsste mich ihr opfern. Weil ich mich ihr nur opfern kann, indem ich mich selbst aufgebe, entscheide ich dann am Schluss doch nicht mich auf zu geben und fühle mich dann dafür schuldig, dass ich sie verstoßen muss. Deshalb gibt’s die Beziehung zur Musik. Die Musik ist voller Liebe und Gefühle, die ich so im Alltag nicht ausleben kann.

Also würdest du sagen, du bist glücklich mit deinem Single-Leben?

Glücklich nicht, aber es geht einigermaßen so.