Maximilian Hecker: Illusionen des Glücks



KURIER: Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie die Freude am Musik machen verloren hätten. Haben Sie die Freude während den Arbeiten zu "Mirage Of Bliss" wieder gefunden?

Maximilian Hecker: Die genannte Aussage bezog sich aber bloß auf eine bestimmte Phase meines Musikerlebens, circa 2008/2009, als ich mich dem von außen kommenden und dem selbst gemachten Druck nicht mehr gewachsen sah, und ich Probleme mit meiner Stimme hatte. Außerdem hatte ich die Freude am Musikmachen nicht generell, sondern nur im Studio und auf der Bühne verloren. Das bemerkte ich sehr deutlich, als ich zur genannten Zeit wieder mit der Straßenmusik begann, die mir umgehend deutlich machte, wie viel mir Musizieren bedeuten kann, wenn es keine Normen gibt, an denen es sich zu orientieren gilt und keine Erwartungshaltungen. Freude an der Studioarbeit habe ich auch bei den Aufnahmen zu "Mirage Of Bliss" nicht erlebt. Das hat aber gar nichts mit dem Produzenten zu tun, im Gegenteil. Ohne Youths entspannte, lockere und motivierende Art wäre es bloß noch schlimmer gewesen.

Sie sind ein Sänger, der in der Öffentlichkeit über seine Neurosen und Versagensängste spricht. Wie geht es Ihnen zurzeit? Und wie weit wird ihre Musik von diesen Neurosen beeinflusst bzw. gesteuert?

Es geht ganz Ok. Neurosen und Versagensängste wirken sich in meinem Leben meistens positiv aus, da sie mich motivieren und anspornen. Meine Musik an sich (im Gegensatz zum Funktionieren-Müssen im Studio oder auf der Bühne) hat rein gar nichts mit Neurosen und Ängsten zu tun. Gerade die Musik ist der Bereich in meinem Leben, der voller Freiheit und Leichtigkeit ist. So wie ein Tourette-Syndrom-Patient, der, wenn er am Klavier sitzt, plötzlich nicht mehr ständig "Fotze!" rufen muß.

Wie waren die Arbeiten zu ihrem neuen Album?

Youth kannte die Diktiergerätaufnahmen meiner neuen Songs. Vormittags haben wir diese Demoaufnahmen angehört, Youth hat innerhalb kürzester Zeit entschieden, ob der Song beispielsweise eine Bridge benötigt oder eine Strophe zuviel oder zuwenig hat, dann wurde das finale Arrangement programmiert, und ich habe zur Gitarre einen Guide-Vocal aufgenommen. Dann habe ich nacheinander Schlagzeug, Klavier, Gitarre und Synthesizer eingespielt, später Youth den Bass, nach dem Abendessen habe ich gesungen, und noch in der gleichen Nacht hat Youth den Gesang editiert, so dass wir innerhalb eines Tages einen kompletten Song fertig hatten. Youth ist extrem erfahren und weiß genau, was ein Song benötigt. Ich habe mich ihm komplett hingegeben, und es gab eigentlich nie Meinungsverschiedenheiten. Sein schnelles Arbeiten war zunächst verwirrend für mich, dann aber hat sich gezeigt, dass auf diese Art ein Großteil der Versagensängste auf der Strecke bleibt, da schlicht keine Zeit mehr für sie ist. Zudem hat er mich häufig mit Ideen überrascht, und so sind einige Songs, die ursprünglich eher nach Celine Dion klingen sollten, als Travis-Hymnen geendet. Nach den zwei Wochen in Youths Studio in der Nähe von Granada, Spanien, war erst mal eine Pause, und dann hat Tim Bran das Album in London gemischt, zum Teil war ich dafür vor Ort.

Der Sound auf "Mirage Of Bliss" kommt alles andere als Lo-Fi daher? Wie kam es dazu?

Ich hatte die einmalige Chance, mit einer Ikone des Britpop zusammenzuarbeiten, und da bot es sich an, an einen Stil anzuknüpfen, den wir beide hinter uns gelassen hatten, der aber in Wirklichkeit noch immer in unserem Herzen war – Britpop in Reinkultur. Und dieser Stil bringt eben ordentliche und satte Produktion mit sich. Generall aber ist der "Sound" im Grunde nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist für mich immer das Songwriting und der Ausdruck in der Stimme des Sängers. Bloß stürzen sich halt immer alle auf das Thema "Sound" und "Instrumentierung" – all das ist aber langfristig betrachtet Schall und Rauch.

Warum feiern Sie ausgerechnet in Asien so große Erfolge?

Rein faktisch war es so, dass im Jahr 2003 ein koreanisches Label, das über importierte CDs und das Internet auf mich aufmerksam geworden war, mir einen Lizenzvertrag anbot. Als ich dann 2004 das erste Konzert in Seoul spielte, kamen auf Anhieb 600 Leute. 2005 hatte ich dort weitere Konzerte, die ebenso gut besucht waren, und zur gleichen Zeit begann eine taiwanesische Plattenfirma, die auch durch Importe und das Internet von mir erfahren hatte, sich für mich zu interessieren. Auch dort folgten Lizenzdeal und Konzerte, mit ähnlichem Erfolg wie in Korea. 2007 schließlich konnte der Chef der taiwanesischen Plattenfirma ein Label am Festland (China) für mich gewinnen, und seit der Veröffentlichung meiner Platten dort ist China im Grunde mein Hauptmarkt geworden, mit Konzerten in mittlerweile zirka 30 verschiedenen chinesischen Städten. 2008 schließlich konnte ich noch eine Plattenfirma in Hongkong für mich gewinnen, diese vertreibt darüber hinaus noch nach Malaysia und Singapur. Woher der Erfolg in Asien kommt, das kann ich gar nicht genau sagen. Einerseits hatte ich einfach Glück, dass ich von den Plattenfirmen dort unter vielen westlichen Singer-Songwritern entdeckt und ausgewählt wurde, und andererseits treffe ich mit meiner, in Deutschland mittlerweile völlig unpopulären, kleistschen, hölderlinschen, rilkeschen Auffassung von Romantik in Ostasien anscheinend einen Nerv. Zudem repräsentiere ich ein für Asien eher untypisches Männlichkeitsbild, singe ich doch wie eine Frau und empfinde auch scheinbar wie eine. Die "verletzliche Pussy" ist aber definitiv das Gegenteil dessen, was von einem asiatischen Mann erwartet wird. Dennoch habe ich ja kantige Gesichtszüge, einen Dreitagebart und bin offensichtlicherweise keine Frau, und daraus ergibt sich eventuell für die weiblichen asiatischen Fans ein interessantes Spannungsfeld. Es könnte sein, dass sie innerlich hin- und hergerissen sind zwischen: "Endlich ein Mann, der Emotionen hat, im Überfluss sogar, ein Mann der mich versteht!" und "Nimm mich jetzt!" Schließlich empfinde ich mich, bedingt durch meinen eher verhärteten Charakter, häufig ähnlich eingeklemmt in strenge Konventionen wie ein Großteil meiner asiatischen Fans. Vielleicht gibt es eine Seelenverwandschaft, die mich und meine Fans in Fernost verbindet.

Sie setzen seit nunmehr 12 Jahren auf die Kraft von romantischen Texten, Melancholie und Piano-Begleitung? Warum bedienen Sie sich dabei nie anderer Stilmittel?

Daran habe ich kein Interesse. Meine Musik ist im Grunde kein Versuch, sich in den Wettbewerb mit anderen zu stellen, kein Versuch, durch geschickte Arrangements und Abwechslung Hörer zu gewinnen. Ich kann nur eine Sache, kann nur ein bis zwei Songs variieren, und das werde ich machen, solange das mir Freude bereitet bzw. solange diese zwei Songs mich heilen.

Der Titel des 12. Songs auf ihrem neuen Album ist Chinesisch – was bedeutet er?

Es handelt sich zwar um traditionelle chinesische Schriftzeichen, jedoch ist es in diesem Falle ein japanischer Begriff, und zwar "Dogenzaka". Das ist das Rotlicht-Viertel Shibuyas in Tokio. Dort bin ich damals, 2008, auf Nana, die im gleichnamigen Song beschriebene Prostituierte, getroffen und später, als ich für einige Zeit nach Tokio gezogen war, hielt ich mich in jener Gegend viel auf und hatte dort viele schöne Stunden mit meiner japanischen Exfreundin, die ich im Rahmen meiner zehnten Asientour im Herbst 2010 in Tokio kennengelernt hatte. Dogenzaka repräsentiert für mich demnach das Epizentrum meines "asiatischen Traumes"; einerseits den letzten Notanker eines gewaltsamen Versuches einer Verschmelzung mit dem Asiatischen an sich und auf der anderen Seite die Reinheit und Schönheit eines echten Liebesgefühles (meine Liebe zur genannten Exfreundin). Aber, da auch jene Liebe scheiterte, ist Dogenzaka schließlich der Ort geworden, der das "Trugbild der Glückseligkeit" versinnbildlicht.

Sie veröffentlichen auf ihrem eigenen Label "Blue Soldier Records" ausschließlich ihre eigene Musik? Warum nehmen Sie keine neuen Künstler ins Programm?

Blue Soldier Records ist damals nur aus der Not entstanden, als meine letzte Plattenfirma Louisville Records sich aus dem Business zurückgezogen hatte. Mein Label existiert nur auf dem Papier, da mein Vertrieb Rough Trade für ihre Arbeit einen Labelnamen von mir brauchten.

Sie haben nun auch ein Buch über ihr Leben geschrieben.  Was war die größte Erkenntnis, die Sie daraus gewonnen haben?

Durch das Sammeln und "Raffen" schon bestehender Tagebucheinträge und das Schreiben neuen Materials habe ich einen noch besseren Einblick in die Zusammenhänge meiner Handlungen und Probleme bekommen. Ich empfinde es als regelrechte Therapie, "endlich" die unkaschierte Wahrheit auszusprechen. Diese erscheint mir, selbst wenn es sich um das Zeigen von Schwäche, Perversionen und dunklen Seiten handelt, als "neutral" und sozusagen harmlos. Es ist es äußerst befreiend, sie zu äußern, ganz im Gegensatz zu dem Versuch, sich – entgegen der Wahrheit – als selbstsicher und erfolgreich darzustellen und zu versuchen, ein Bild aufrechtzuerhalten. Denn dann würde ich den Stress und das Unwohlsein eines Lügenden empfinden.