Infinite Lovesongs CD

Infinite Love Songs

CD/LP, Kitty-Yo Int. 2001


Spex | Platte des Monats

back Mit der Sehnsucht als künstlerischem Antrieb ist das so eine Sache. Definiert dieses Vorgehen doch mehr als alle anderen sein Ziel über einen bestenfalls nie endenden Weg: ankommen, sein Glück finden, den Durst gestillt bekommen – all das darf eigentlich nicht passieren. Genausowenig darf es sich um eine aufgesetzte, angeheftete Pseudo-Sehnsucht handeln, eine Geisteshaltung also, die sich aus Langeweile, jugendlicher Unbekümmertheit, allgemeiner Ahnungslosigkeit oder gar aus einem falsch verstandenen Zeitgeistgefühl heraus speist.

Wahre Sehnsucht ist ein lebenslanger Fluch, ein Stigma, etwas, was weder in guten noch in schlechten Zeiten seinen Schrecken verliert. Sehnsucht ist eben die Sucht nach einem Sehnen, nicht einfach nur das Sehnen nach irgendetwas, ist also Teufelskreis und Tantalusqual in einem. Diese Sucht, wie alle Suchterkrankungen, lässt sich nur für sehr kurze Zeit befried(ig)en, schon drängt es den Betroffenen höchst unerfüllt und von bestialischer Traurigkeit getrieben weiter, zurück zum eigenen Ich und dessen unseeligem Sehnen entgegen. Sehnsucht richtet sich eben immer auch gegen sich selbst, völlig unabhängig davon, worin sie gerade den Schlüssel zur Erlösung sieht.

Menschen, die so funktionieren, sind nicht zu beneiden, egal wie gut sie ausschauen, wieviel Geld sie besitzen oder welchen Erfolg sie erzielen. Auf ihren künstlerischen Output dagegen ist Verlass. Nehmen sie nur mal Morrisey. Gut, irgendwann ist er einfach alt geworden und Songwriting war nie seine Stärke, dafür hatte er ja auch den Johnny an seiner Seite, aber solange diese perverse Sehnsucht in seinem Kopf hauste, da konnte ihm einfach keiner das Wasser reichen.

"Please, Please, Please Let Me Get What I Want", "Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me", "Heaven knows I’m Miserable Now"..., unsterbliche Hymnen archaischer Sehnsucht. Wieviele junge Menschen, vor allem natürlich junge Männer, haben sich damit fast zu Tode identifiziert, und dann trafen sie einer nach dem anderen vor dem Smiths-Konzert ein nettes Mädchen, und zack, futsch war die ganze nachgeahmte Sehnsucht und Melancholie. Total glücklich ward ab da ins Autokino gefahren, Eisdielen bevölkert und Händchen gehalten. Ach, was gehts uns gut. Und die Dire Straits gab es ja auch noch.

Von Morrisey wissen wir auch, dass Sehnsucht eine Menge mit Narzissmus zu tun hat, auch wenn die Forschung bislang noch nicht so genau weiß, in welcher Korrelation. Die beliebteste Theorie ist zweifellos, die besagt, der so untröstlich unglückliche und nie sein Glück findende Mensch sei so sehr in sich selbst verliebt und messe folglich seine Umwelt und Mitmenschen stets an seiner eigenen Perfektion, dass ihm mit irdischen Mitteln so gar nicht beizukommen sei. Wer soll denn da auch kommen?

Da mag was Wahres dran sein, denn nun kommen wir zum Autor der Platte des Monats, Maximilian Hecker, und Gerüchte besagen, er sei ein nicht einfacher Zeitgenosse, eine Zicke, Diva, arrogant und eingebildet wahrscheinlich obendrein, und das Info zu seinem Debut-Album "Infinite Love Songs" weiß zu berichten, Maximilian wäre der Typ Junge, der – natürlich nur im übertragenen Sinn – vor dem Spiegel masturbiert und sich hernach selbst Blumen schickt. Quod erat demonstrandum.

Nur ein Tor würde eine derart grandiose und herzzereißende Sammlung von Liebesliedern einfach nur "Love Songs" nennen. Der Sehnsüchtige setzt ganz automatisch das Wort "infinite", also unendlich, davor, weil er gar nicht anders kann, er ist nur fähig, das von ihm Beschworene, die Suche nach der Liebe, als endlos einzuordnen. "Infinite" heißt aber auch allumfassend, was ein nicht minder schönes Wort ist und beschreibt, wie durchdrungen der Autor von seinem Thema und wie manisch fixiert auf seine sture und konsequente Vorstellung von Erlösung er als Süchtiger nun mal ist. Was logischerweise noch einsamer macht.

"There Was A Man Who Loved Too Much, He Ended Up In A Prison Cell" singt Neill Tennant in "Before", ein Stück, welches auch aus Maximilian Heckers Feder stammen könnte. Wie der junge Berliner Multiinstrumentalist und erprobte Straßenmusikant ohnehin alle nun zu namedroppenden Großen des (Love)-Songwriting in sich, zumindest in Spurenelementen, vereint, und dabei singt wie Jôn Thôr Birgisson von Sigur Rôs, obwohl er offensichtlich nicht dessen Sexualität teilt, und trotz aller Ähnlichkeiten quasi im Alleingang eine so persönliche, auch hier mal angenehm undeutsche und unberlinerische, Popmusik erfunden hat, ist, zumindest für mich und am heutigen Tag, äußerst beeindruckend. Musik, die vor Schönheit sterben möchte, wenn da nicht noch so verdammt viel zu sehnen wäre. Alone Is The New Together.