Lady Sleep CD

Lady Sleep

CD/DLP, Kitty-Yo 2005


Die Lady schläft

back Türen geschlossen halten, Fenster verriegeln, und auf gar keinen Fall allein dem 'Lady sleep' lauschen. Maximilian klettert behende den Turm hinauf, betört seine Angebetete mit typisch Hecker'schem sanften Liedgut und wiegt die Lady in den Schlaf. Und für die kommenden 52 Minuten gibt es absolut keinen Grund, die Augen wieder zu öffnen. Wer sich bereits in das vorangehende Album 'Rose' verliebt hat, wird 'Lady Sleep' lieben. Maximilian Hecker hält sein Versprechen der 'Infinite Love Songs' und bereitet mit seinem neuen Longplayer erneut den Weg zu einem fesselnden Stück Popgeschichte. Achtung: Nicht nur für Ladies.

Max ist es wie in einer funktionierenden Beziehung: Im Grunde liebt man den Freund oder die Freundin und vertraut diesem Menschen, andererseits zweifelt man doch ab und zu, ob nicht vielleicht alles viel zu schön ist, um wahr zu sein, und ob nicht vielleicht doch etwas völlig Unerwartetes in das kleine bescheidene Leben tritt, welches einen ganz unvermittelt aus der Spur werfen könnte. Nach Heckers letztem Werk 'Rose' und den Schlussworten "It is over" war ich einmal mehr glücklich, diesen Künstler entdeckt zu haben. Gleichzeitig war es jedoch schwer vorstellbar, wie das Niveau von 'Rose' auch nur ansatzweise erneut erreicht bzw. noch getoppt werden könnte, denn es war alles gesagt. Doch umso beruhigter war ich, als ich vor ein paar Tagen das Promoexemplar von 'Lady Sleep' in den Player legte. Es war eben doch etwas völlig Unerwartetes in mein Leben getreten. 'Lady Sleep' ist die Fortsetzung von 'Rose' und ist – was wirklich bemerkenswert ist – sogar ein Stück besser.

80er-Jahre-Ausflüge und Drum&Bass-Versuche wird man auf 'Lady Sleep' vergebens suchen. Klavier und Geige sind die bestimmenden Elemente der Formel zum Glück. Wenn uns die ersten Töne von 'Birch' in die typisch Hecker'sche Melodramatik einleiten, so fragt man sich schon, wie man auch nur ansatzweise denken konnte, Max würde ein schlechtes Album abliefern. Unbeirrt und in ruhigen, sanften Bahnen breiten sich die Klangteppiche aus und dieses Gefühl von Glückseligkeit lässt einen nicht mehr los. 'Lady Sleep' ist kein trauriges Album, es ruft jenes Gefühl hervor, was man in den Sekunden, Minuten, Stunden, Tagen empfindet, wenn man sich wieder verliebt. "Tomorrow is the first day of my life" singt Hecker in 'Anaesthesia' und schenkt uns damit die gewisse Hoffnung zurück, die manchmal so verloren scheint. Die Zeilen "The first time in my life I can feel myself, the first time in my life I’m not sad. The first time in my life I’m dead." unterstreichen dies in 'Daze of Nothing', und man weiß: Ja, es wird dieser Tag kommen, an dem ich früh aufwache und an den Verflossenen oder die Verflossene denke und nichts mehr fühlen werde. Beruhigend.

Doch Hecker wäre nicht Hecker, wenn Melancholie und Dramatik aus dem Tonstudio geflohen wären. Und so ereilt den Hörer mit den drei aufeinander folgenden Stücken 'Everything inside me is ill', 'Full of Voices' und 'Help me' ein gewaltiger Sturm der Nachdenklichkeit und des Hilfeschreis, der jedoch im kleinen Kreis und mit leisem Aufschrei am Trommelfell klopft. Letzteres ist bekanntermaßen sehr empfindlich, doch Hecker findet mit 'Help me' und einer Ruhe, wie man sie nur von Sigur Ròs gewohnt ist, den Schlüssel zum vollkommenen Weltfrieden und dem Frieden mit sich selbst. Die ersten Schneeflocken fallen zur Erde hinab, "I smile as I rise into heaven", ein Lächeln des Glücks und des Einklangs von Körper und Geist schleicht sich auf unser Gesicht. "I’m dying", nur drei Worte, die ausreichen, um zu verstehen. Wer es bis zu diesem Moment nicht geschafft hat, mit der Musik eins zu werden, hat dieses Album nicht verdient.

Die Lady schläft, "kiss me sweetly" – dieser Bitte wird die Schöne ohne Zweifel nachkommen. Zweifel kommen allerdings beim Hören des Titelsongs 'Lady Sleep' auf, wenn man sich fragt, ob man diese Tonfolge nicht schon einmal irgendwo gehört hat, wenngleich die Töne ein wenig anders gesetzt sind. Und es wäre ja nicht das erste Mal, dass Hecker etwas Bekanntes in einem neuen Song versteckt. Wir erinnern uns da noch gut an das "West Virginia, Mountain Mama" vom letzten Album. Und tatsächlich – man wird fündig. Groteskerweise gerade dort, wo man es nun wirklich am allerwenigsten vermutet: den Landeshymnen. Einwohner der ehemaligen DDR dürften ihr Nationalstück wiedererkennen und zu Recht ein wenig verwundert dreinschauen. Nun kann es durchaus passieren, dass man während einer Rezension beginnt, zuviel des Guten in ein Album hinein zu interpretieren, doch als beim Tourauftakt in Halle mir auch noch andere Menschen diese Vermutung nahe legten, fühlte ich mich in meiner Annahme bestätigt. Aber genau das macht Max eben wieder so sympathisch. Hecker nimmt sich selbst manchmal nicht so ernst und das tut seiner Geschichte gut.

À propos Konzert: Beim Tourstart in Halle ließen die Konzertbesucher Max und Band erst nach der zweiten langen Zugabe gehen. Und als sich bei seiner Interpretation von Radiohead's 'Creep' die Gänsehaut über unseren gesamten Körper legte und wir mit offenem Mund dem zusahen und zuhörten, was sich auf dieser kleinen Bühne abspielte, wussten wir: Hecker kann noch mehr. Viel mehr. Was in 'Yeah, eventually she goes' schon in Auszügen hervorbricht, lässt in uns die Gewissheit keimen, Hecker würde mehr Mut zu mehr Stimme gut tun. Bright Eyes haben genau wegen diesem Zwiespalt gleich zwei Alben herausgebracht – ein leises und ein lautes.

Vielleicht eine Anregung für Max. Dennoch: die Lady schläft im 5-Sterne-Hotel ...