Die Leiden des jungen Hecker


Sie kommen. Scheiße, sie kommen. Maximilian Hecker ist auf der Flucht. Die Schritte schnell, der Atem knapp. Hecker versteckt sich. Er versteckt sich an Nicht-Orten, die Zuflucht bieten: Parkhaus, Flughafen, Hotel. Aber wovor flieht Hecker?

Das ist nicht die Wirklichkeit, das sind Filme. Eindrücke aus dadaistischen Clips, die Hecker selbst gedreht, geschnitten und bei YouTube hochgeladen hat. Alles Teil der Promo für sein neues Album, "Spellbound Scenes of my Cure". In Wirklichkeit sitzt Hecker, 37, gerade in einem Hotel in Berlin-Mitte, seine müden Augen durchsuchen die Lobby, er sucht nach Worten - und findet. "Manchmal entziehe ich mich den Menschen und fliehe an einsame Orte, wo ich wie ein Kind empfinde: unreflektiert und frei", sagt Hecker. "Dadurch, dass ich fliehe, bin ich temporär geheilt."

"Verzauberte Szenen meiner Heilung", so kann man den Titel seines achten Albums übersetzen. Darauf macht Hecker zehn Mal das, was man von ihm kennt: Herzmusik mit Kopfstimme, die oft vom Verlassen erzählt. "I will leave you, love", heißt es da, "I will always leave you anyway" und "I run away for good". Flucht als Therapie. "In den Songs geht es um Krisen", sagt er. "Um Krisen, vor denen ich fliehe, um mich auf mich selbst zu besinnen."

Krisen, die kennt Hecker. 2008, neun Jahre nachdem er seine Ausbildung zum Krankenpfleger abgebrochen hatte und Straßenmusiker in Berlin geworden war, sieben Jahre nach seinem ersten Album "Inifinite Love Songs", das die "New York Times" zu den besten des Jahres zählte, nach Touren um die Welt, nach Exzess und Herzschmerz, da kam die Sinnkrise und blieb. Hecker hatte das Gefühl, auf den Bühnen und vor den Frauen einem Bild entsprechen zu müssen. Er widersetzte sich, ließ den Bart wuchern, trug Jogginghosen. Hecker wollte hässlich sein. Im Hotel trägt er heute Jeans und einen ordentlichen Zehn-Tage-Bart. Hecker sieht gut aus. Aber er sagt: "Ich weiß nicht, ob ich aus der Krise rausgekommen bin."

Hecker sitzt vor einem Fenster. Zentimeter, die ihn von der Welt trennen. Mitten in Mitte ist er und doch nicht dabei. "Die Euphorie des Märtyrers", nennt er das. "Ich gehöre nicht zu euch. Deshalb bin ich vielleicht was Besonderes." Im Hotel läuft Musik, die man Lounge schimpfen könnte. Das Schönste daran ist das Wort "Saxophon". Schallgewordene Antithese zu Heckers Werk. Aber Hecker mag die Widersprüche: Sätze wie "Ich bin ein strenger Charakter und deshalb sehnsuchtsvoll" oder "Die Erlösung in der Düsternis ist das Romantischste überhaupt" oder "Wenn ich bejubelt werde, fühle ich mich unattraktiv". Er spricht sie aus, ungelenk und weise zugleich.

Bejubelt wird Hecker vor allem in Ostasien. In Südkorea, China und Taiwan, da sind seine großen Fans. Da laufen seine Songs in Werbespots und Soap Operas. "In China nennen sie mich den melancholischen Prinzen", sagt er. In Deutschland haben sie ihn den "singenden Schmerzensmann" und das "blasse Bürschchen" genannt, "einen von vielen".

Dabei ist Hecker einer von wenigen in Deutschland, die es schaffen, mit aufrichtigem Pathos von der unerfüllten Liebe zu singen. Vielleicht schafft Hecker das, weil er der Liebe abgeschworen hat. Er glaubt nicht an die romantische Liebe, nur an die überhöhte, die unerreichbare, an das Verliebtsein in chinesische Supermodels wie Liu Wen, Namensgeberin des ersten Stücks auf seinem neuen Album. "Mit der echten Liebe ist es wie in dem Robbie-Williams-Song 'Feel'", sagt er. "Before I fall in love, I'm preparing to leave her." Die letzten drei Silvester hat Hecker allein verbracht, in einem Billighotel in Hennigsdorf, zwanzig Kilometer nordwestlich von seiner Berliner Wohnung - in seiner "Gefängniszelle", wie er sagt. "Da kann ich ja keinen Korb in der Disko kriegen." Hecker flieht vor der Abweisung.

Wenn Hecker dann doch in die Disko geht, wünscht er sich manchmal, dass er Altenpfleger wäre. Dass er damals nicht die "Charité" gegen den Hackeschen Markt eingetauscht hätte. Dass er in der Disko sagen könnte, er sei in der Pflege und nicht auf Tour. Dass die Frauen in ihm dann nicht bloß den Musiker Hecker sehen, sondern den Menschen Hecker entdecken würden. Er sagt: "Musiker zu sein ist genauso verführerisch wie zum Kotzen."

Was kommt eigentlich nach der Flucht? "Ich habe Sehnsucht nach mehr Heimat", sagt er. "Ich will nicht immer im Windfang bleiben." Der Windfang, ein wiederkehrendes Bild in Heckers Kopf: "Ich sehe jemanden in einem Restaurant sitzen und will zu ihm. Ich betrete den Windfang, aber dann sind beide Türen verschlossen - die rein und die nach draußen."

Jetzt geht Hecker durch den Windfang, verlässt das Hotel. Raus, auf den Rosenthaler Platz, vorbei an Paaren, Passanten. In Sichtweite wacht der Alex. Hecker grüßt eine Frau, geht verhalten auf sie zu, sie kennt ihn nicht. Eine Verwechslung. Hecker geht weiter, er blickt um sich, als wäre er auf der Suche nach irgendwas. Als wäre er auf der Flucht.