Neverheart CD

Neverheart

Digital, Blue Soldier Records, 2024


Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

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Das Herz ist eine miese Gegend – Der Berliner Musiker Maximilian Hecker veröffentlicht mit »Neverheart« sein zehntes Studioalbum und bleibt sich selbst und der Romantik treu.

Maximilian Hecker hat schon im Falsett gesungen, Jahre bevor Justin Vernon mit seiner Gitarre in die Waldhütte ging, um dort das erste Bon-Iver-Album aufzunehmen. Jetzt hat der Berliner Musiker sein zehntes Studioalbum »Neverheart« veröffentlicht – ein Album wie geschaffen, um bei leichtem Schneefall nach Einbruch der Dämmerung durch anonyme Großstadtstraßen zu stapfen und zu beobachten, wie Natur und Zivilisation miteinander käbbeln. Perlende Klaviernoten, wabernde Klangflächen, zart gezupfte E-Gitarrensaiten, Schlagwerk, für das eigentlich ein weniger martialischer Name gefunden werden müsste, weil die Trommeln und Becken die meiste Zeit eher getätschelt werden. Aber die Instrumente bereiten eigentlich nur das Bett, auf dem diese Falsettstimme ruht – Ach, Quatsch: über dem sie schwebt.

Wer die Musik von Maximilian Hecker beschreiben will, verläuft sich fast zwangsläufig in Bereiche des eigenen Wortschatzes, die jetzt eher nicht der Kategorie »aktiv« angehören und die ein bisschen nach jenem Klassenraum riechen, in dem man damals im Deutsch-Grundkurs Gedichte analysiert und das getan hat, was die Bravo »deinen Schwarm anhimmeln« nannte.

Hecker hatte die ersten fünf Jahre seines Lebens in Baden-Württemberg verbracht, die weitere Kindheit und Jugend in Ostwestfalen, ehe er in Berlin erst zum Straßen- und dann zum Vollzeitmusiker wurde. 2001 erschien sein treffend betiteltes Debütalbum »Infinite Love Songs«: unendliche Liebeslieder, manche von ihnen näher dran am zeitgenössischen Pop, die meisten schon damals irgendwie entrückt und schwelgend, aber allesamt melancholisch und poetisch, textlich vage und damit präzise für einen selbst gemeint. Musik für empfindsame Jünglinge und Kassettenmädchenkassetten. im Video zur Single »Polyester«, das noch im Indie-Musikfernsehen bei Viva 2 zu sehen war, lief Hecker mit Prinz-Eisenherz-Frisur und Ritterrüstung durch Berlin, was es der Musikkritik leicht machte, ihn als Minnesänger zu bezeichnen, aber gleichzeitig auch schon mal umriss, welche Spannweite der damals 24-jährige so abzudecken gedachte.

So soll »Neverheart« auch nicht nur auf »Neverland« verweisen, also das »Nimmerland« aus »Peter Pan« von J. M. Barrie, sondern auch auf das kalte beziehungsweise steinerne Herz aus dem Märchen von Wilhelm Hauff. Auch bei Heckers Debütroman »Lottewelt«, der im vergangenen Oktober erschien, hat der Titel mehrere Ebenen: zwei Frauenfiguren namens Lotte und den Vergnügungspark Lotte World in Seoul. Die Presseinformation zum Album spricht vom »Protagonisten« und »zehn erbärmlichen, genauer gesagt: zweifarbigen Liebesliedern« und versucht so, die größtmögliche Distanz zwischen Künstler und Werk zu bringen. Hui! Oder, weniger wohlwollend: Puh!

Glücklicherweise funktioniert Heckers Schaffen immer auch ohne Beipackzettel; dafür nimmt die Musik das Publikum viel zu schnell in den Arm. Manchmal braucht es etwas Zeit, bis man diese zerbrechliche Stimme nicht als weiteres Instrument wahrnimmt, sondern das Wehklagen auch inhaltlich erfasst: »I’m following the voices in my head / I’m stumbling / I’m running out of true / I’m reeling«, singt Hecker in »Losing Heart«, einem von drei Songs mit »heart« im Titel – »love« kommt sogar viermal vor.

Statt Alphamännchen also eher Alpha-Romeo. Hecker selbst, der am Telefon übrigens ganz locker und zugewandt klingt, spricht von »Nimmerherzens-Heinis« – zu denen er sich auch selbst zählt. Für ihn sind das Männer, die »wie eine Marionette an Schicksalsfäden zu hängen und somit unfähig zu aktiver Schicksalsveränderung zu sein scheinen«. Deren »Lebens- und Liebesweg« bereits vorgezeichnet wirkt beziehungsweise von ihrer traumatischen Vergangenheit geprägt. Die Zuwendung einfordern und Abwendung leben. Das klingt nach der Hauptfigur eines Nick-Hornby-Romans und einem Menschenschlag, den man lieber in die Musiksammlung als ins eigene Leben lässt – aber wenn man ausreichend Frauen im Bekanntenkreis hat, die mal Musiker gedatet haben, hatte man sich das eh schon gedacht.

Hecker legt Wert darauf, dass er keinem Nostalgiekult folgen oder sich auf irgendwelche »guten alten Zeiten« und deren Sprache berufen, sondern sich an »die hyperempfindsame, selbstbezogene, den Klang der wohlformulierten Sprache regelrecht feiernde und explizit unironische Haltung zum Beispiel eines von Doderer, Proust, Rilke, Goethe, von Lübeck oder auch Nietzsche« anlehnen wolle, weil sie ihm »seit jeher als die schlüssigste erscheint, um einem Werk eine zeitlose, klassische Anmutung zu geben, ja, es als deutliches Gegenstück zum profanen Alltag und dessen Umgangssprache zu konzipieren«. So will er sein Schaffen auch unbedingt als unpolitisch verstanden wissen: »Mein Blick geht fast immer nach innen, eine beinah autistisch anmutende Widerspiegelung meiner selbst in Musik und Roman, da gibt’s keinen Raum für Politisches.« Das wirkt als Pop-Biedermeier schon fast wieder radikal.

In Deutschland hat Maximilian Hecker keine Konzertagentur mehr, dafür strömen die Menschen in China und Südkorea zu seinen Shows. In den letzten 22 Jahren hat er aus nächster Nähe miterlebt, wie der Strukturwandel die Musikindustrie umgekrempelt hat. Trotzdem sagt er, was das Musikersein leicht oder schwer mache, sei letztendlich die Hingabe: »Selbst wenn dir keiner zuhört, Spotify dich auf keiner Playlist platziert und kein Agent deine Konzerte bucht, kann es sich immer noch wie ein Riesenerfolg anfühlen, ein gutes Album aufgenommen zu haben.« Und auch das klingt dann doch wieder ziemlich romantisch.