Neverheart CD

Neverheart

Digital, Blue Soldier Records, 2024


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Kaum ein Song war Anfang des Jahrtausends so pathetisch und gleichzeitig wunderschön für studentische Liebeskummer-Tapes geeignet wie »The Days Are Long and Filled with Pain« von Maximilian Heckers fantastischem Debütalbum »Infinite Love Songs«. Und nahezu unendlich ist auch die Zahl weiterer bittersüßer Liebeselegien, die der Wahlberliner in den letzten 20 Jahren veröffentlicht hat. Meist waren dies verhuschte Balladen mit viel Klavier, jedoch auch immer wieder Exkursionen in Richtung Folk, Dreampop oder Indie britischer Prägung. Mit Heckers neuntem Album »Wretched Love Songs" stellte sich eine Reduzierung auf fast kunstliedartige Klavierstücke ein. Diesen Weg geht der Maestro der Melancholie konsequent weiter: Die Tage bleiben lang und schmerzerfüllt, die Liebe bleibt erbärmlich unerfüllt, und die Songs sind diesmal allesamt hypnotisch herzerweichende Pianopreziosen. Denn der Titel der neuen Platte »Neverheart« ist freilich glatt gelogen: Hier kommt jeder Ton von Herzen und berührt auch ebendort. Der sehnsuchtsvolle Opener »Two-toned love (part I)« beschäftigt sich in Titel und Text mit dem Spannungsverhältnis von Anziehung und Zurückweisung, Sehnsucht und Rückzug, Hoffnung und Enttäuschung: »Win me over / And hold me under / And drive me away / And pull me into your heart.« Diese Dichotomien sind programmatisch für Heckers Texte, nicht nur für den Rest dieses Albums, sondern letztlich im Gesamtwerk des 46-Jährigen. Spannungen und Zerrissenheit in den Lyrics spiegeln sich musikalisch jedoch keinesfalls wider. Keine Rhythmen, die sich reiben, keine kollabierenden Melodien, stattdessen herrscht durchgehend fein temperierter Wohlklang aus Klavier und meist gehauchtem Falsett. Hecker selbst bezeichnet seinen Sound auch als »Wiegenlieder für Erwachsene« und scherzt dabei nicht. Seine Kunst ist ernsthaft und aufrichtig, dreht sich formal und inhaltlich mit feinen Variationen immer weiter um sich selbst und zerfasert dennoch niemals zur Beliebigkeit. Für den in Songs wie »Suspended Heart« gar so verletzlichen und unmittelbaren Klang der Produktion, als auch für etwa die Hälfte der Instrumente, inklusive des schmeichelnden Klaviers, ist wie schon bei den beiden Vorgängerplatten erneut Johannes Feige zuständig. Gemeinsam mit Feige erschafft Hecker eine intime und trotz ihrer Unaufgeregtheit packende und fast atemberaubende Atmosphäre, dies gilt besonders für die wunderschöne, zögernd tastende Ballade »Long-lost Crazy Love«. Etwas luftiger kommt da der verspielte, mit Akustikgitarre angereicherte »Leave-taking Song« daher, der zumindest für den Heckerschen Kosmos beinahe so etwas wie eine fröhliche Melodie aufweist, so als sei der nächste Schritt für den Erzähler ebenso selbstverständlich wie unausweichlich: »And I will leave you now that I'm falling for you.« Den Soundkosmos noch weiter öffnet einzig »Fall in Love, Fall Apart«s, dessen Refrain mit einem Hauch von Bombast aus warmen Synthieflächen und Orchesterschlagzeug an die poppigeren Klänge von »I'll Be a Virgin, I'll Be a Mountain« erinnert. Im abschließenden Titelsong, dessen schwelgerische Streicher für manches Ohr vielleicht hart an der Kitschgrenze surfen, taumelt der Erzähler subtil von Hoffnung über Verzweiflung bis zur Akzeptanz seiner Untauglichkeit für die Liebe. »I'm leaving home forevermore, my love / I'm leaving home for good«, beteuert er zum Ende. Schade eigentlich, dass das Liebeskummer-Tape aus der Mode geraten ist.